Bron: RTL Auteur: Roxanne Vis
HSP? Wenn Sie schon einmal davon gehört haben, dann vermutlich als Abkürzung für high sensitive person, also „hochsensible Person“, wie sich manche Menschen bezeichnen. Doch HSP steht auch für eine seltene, vererbbare und unheilbare Krankheit, an der rund tausend Menschen in den Niederlanden leiden. Alex Sijm (49) ist einer von ihnen. Die Krankheit hat sein Leben grundlegend verändert. „Beim Akzeptieren des körperlichen Verfalls können mir Freunde und Familie nicht helfen. Das muss ich allein schaffen.“
Als Kind lief er schon „anders“. Alex hatte einen auffälligen Gang. Als er etwa sechs oder sieben Jahre alt war, gingen seine Eltern deshalb mit ihm von einem Arzt zum anderen. Doch eine klare Ursache wurde nicht gefunden. „Wahrscheinlich ist das Rückenmark während der die Geburt beschädigt worden, sagten sie.“
Es schien überwindbar; trotz seines auffälligen Gangs konnte er alles machen, was andere auch machten – und noch mehr. Alex träumte von einer Karriere als Zirkusdirektor und wurde es, obwohl alle sagten, dass er es niemals schaffen würde. „Irgendwann leitete ich vier Zirkusse“, erzählt er. „Keine traditionellen Zirkusse, die von Ort zu Ort zogen, sondern zum Beispiel Circus in de Zorg (‚Zirkus in der Pflege‘), mit dem ich Pflegeeinrichtungen besuchte. Und Gay Circus Amsterdam, in Zusammenarbeit mit dem Aidsfonds. Ich arbeitete Tag und Nacht und war ständig unterwegs.“
Das lief alles gut – bis er 2022 plötzlich verschiedene Beschwerden bekam. Zuerst schob er es auf Corona. Aber eines Tages passierte etwas, das er nicht ignorieren konnte. „Ich fuhr auf der A2 nach Hause, als ich plötzlich merkte, dass ich in die Hose machte. Ich konnte es nicht stoppen. Ich war natürlich total geschockt. Ich dachte nur: Heilige Scheiße, was geht hier ab? Da saß ich, mit triefnasser Hose und durchnässtem Autositz.“ Ein echter Weckruf. „Jetzt war es wirklich ernst.“
Spastische Beine
Schon bald hatte er einen Termin im Radboud-Universitätsklinikum in Nijmegen,bei den Experten des Zentrums für Bewegungsstörungen. Dort erhielt er am 11. Juli 2022 die Diagnose, die sein bis dahin gut geordnetes Leben aus der Bahn warf: Er hat HSP – hereditäre spastische Paraparese
Diese erbliche Erkrankung des Rückenmarks geht immer mit Spastik in den Beinen einher, zeigt sich jedoch in vielen verschiedenen Ausprägungen. Bei manchen bleibt es bei spastischen Beinen und Inkontinenz, bei anderen kommen neurologische Probleme hinzu, wie Koordinationsstörungen, Gedächtnis- und Lernschwierigkeiten. Bei einigen kann sie schon früh zu schwerer Behinderung führen.
Bei Alex scheint es sich um die sogenannte „reine“ Form zu handeln, was bedeutet, dass nur sein Unterkörper betroffen ist. Seit dem alarmierenden Moment im Auto ging es schnell bergab. „Ich konnte immer schlechter laufen, wodurch ich starke Rückenschmerzen bekam. Die Krankheit war bei mir immer stabil gewesen, aber plötzlich nahm sie einen fortschreitenden Verlauf.“

Drei Jahre später sitzt er nun im Rollstuhl. Körperlich musste er viel einbüßen, aber auch seelisch hat es ihn stark belastet. „Ich konnte meine Arbeit nicht mehr fortsetzen, also musste ich mein Unternehmen verkaufen. Auch meinen Partner habe ich dadurch verloren – fünf Monate nach der Diagnose, am zweiten Weihnachtsfeiertag, sagte er mir, dass er damit nicht umgehen könne. In diesem Jahr ist eine Art Bombe in meinem Leben eingeschlagen.“
Außerdem besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass seine Tochter die Krankheit in sich trägt. „Das willst du als Elternteil natürlich nicht.“ Und nächste Woche wird sein Haus zum Verkauf angeboten, denn dort kann er nicht mehr wohnen. „Ich komme die Treppen nicht mehr hoch und brauche ein barrierefreies Bad und eine angepasste Küche. Du verstehst: Wenn all das innerhalb von drei Jahren passiert, hinterlässt das Spuren.“
Den Verfall akzeptieren
Das Schwierigste ist für ihn, den körperlichen Verfall zu akzeptieren. „Man muss ständig das Rad neu erfinden. Ich nenne es lebendigen Verlust. Manchmal fühle ich mich wie ein einsamer Radfahrer auf einem kahlen Feldweg, der mit einem kaputten Fahrrad ohne E-Antrieb gegen den Wind kämpft. Seelisch ganz allein. Denn auch wenn ich die liebsten Freunde und eine tolle Familie habe, die mich wirklich unterstützen – beim Akzeptieren des Verfalls können sie mir nicht helfen. Das muss man allein tun.“
Doch aufgeben liegt nicht in seiner Natur. Das zeigt schon der Titel seines Buches über seine Erfahrungen: Liegen bleiben ist keine Option,das er dieses Jahr auch als Theaterstück auf die Bühne gebracht hat. „Es gibt mir Kraft und Energie, Menschen auf der Bühne zu motivieren.“
Enormer Durchhaltewille
Die Krankheit ist unheilbar, aber die Symptome lassen sich lindern. Alle drei Monate bekommt Alex zwölf Injektionen mit Botulinumtoxin, um die Muskeln zu entspannen und die Spastiken zu stoppen. Und er treibt täglich Sport, denn Bewegung ist bei dieser Krankheit entscheidend.
„Es erfordert enorm viel Durchhaltevermögen, denn man ist schnell erschöpft. Jemand hat es mal treffend beschrieben: Es ist, als würde man mit einem Wohnwagen und zwei platten Reifen über die Autobahn fahren und trotzdem 120 fahren wollen. Es kostet wahnsinnig viel Energie – aber zum Glück gibt sie mir auch Energie.“
Alex ist von Natur aus positiv und konzentriert sich lieber auf das, was er noch tun kann. „Der Rollstuhl hat mir viel Freiheit zurückgegeben. Ich unternehme sehr viel. Einen Monat, nachdem ich ihn im Mai bekommen hatte, bin ich gleich zu einem Festival gegangen. Und einen Monat später bin ich damit zum ersten Mal geflogen. Einfach, um alle Barrieren sofort zu überwinden. Ich habe ein Rollstuhltraining gemacht, sodass ich jetzt sogar Rolltreppen im Einkaufszentrum nutzen kann. Ich suche ständig nach Lösungen, um Teil der Gesellschaft zu bleiben.“
100.000 Euro in einer Woche
Um mehr Aufmerksamkeit für die Krankheit zu schaffen und Geld für die Forschung zu sammeln, gründete Alex zusammen mit anderen in diesem Monat die Stiftung Life4HSP „Weil die Krankheit so selten ist, wurde dazu kaum geforscht – weder nach Medikamenten noch nach Wegen, die Lebensqualität zu verbessern. Man weiß einfach noch zu wenig. Deshalb haben wir uns als Patienten zusammengeschlossen, auch international. 1.000 Menschen sind für Pharmaunternehmen uninteressant – aber 800.000 weltweit, das ist etwas anderes.“
Eine Woche nach der Gründung hatte die Stiftung bereits über 100.000 Euro gesammelt. „Damit konnten wir schon etwas bewegen, auch wenn noch viel mehr Geld nötig ist. Erste Studien laufen. Es steckt alles noch in den Kinderschuhen – aber es passiert etwas. Und das gibt unglaublich viel Energie. Und Hoffnung. Hoffnung auf bessere Therapien oder sogar Heilung.“
Wie seine Zukunft aussieht, ist ungewiss. „Die Ärzte schätzen, dass es bei mir beim Unterkörper bleibt und sich irgendwann stabilisiert, aber sicher sagen kann das niemand. Das ist das Schwierige an dieser Krankheit.“
Einfach glücklich
Und trotzdem würde Alex mit niemandem tauschen wollen. „Wenn du mich fragst, wie ich mein Leben bewerten würde: eine 2+. Das klingt vielleicht komisch, aber jeder hat sein Päckchen. Der eine verliert einen geliebten Menschen, der andere ist unglücklich im Job. Jeder bekommt seinen Anteil. Ich bin einfach sehr glücklich – trotz allem. Ich versuche, das Beste aus meinem Leben zu machen, setze mir immer neue Ziele. So wie ich früher vom Zirkus geträumt habe, tue ich das jetzt wieder – nur anders. Ich halte ständig Ausschau nach Chancen und Möglichkeiten.“
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